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Wandern im Toten Gebirge

Gemütliche Familienwanderungen, wunderschöne Gipfeltouren, anspruchsvolle Kammüberschreitungen – dazu lädt die landschaftlich abwechslungsreiche und touristisch nicht überlaufene Warscheneckgruppe ein.

Mitunter ergeben sich zwischen Bergen und Menschen verblüffende Analogien: Wer einmal erkannt hat, dass die jeweils Höchsten, Prominentesten und Auffallendsten nicht unbedingt immer das halten, was sie äußerlich versprechen, wird vor allem in manchen „zweitrangigen“ Berggebieten wesentlich intensivere Erlebnisse haben. Dies gilt auch für die Region zwischen Ennstal, Tauplitz und Pyhrnpass mit ihren seltsamen Namen wie Stoiring, Schneehitz, Struwin und Nazogl, die nur selten in Hochglanz-Alpinzeitschriften und -kalendern zu finden ist. Geografisch handelt es sich um die Warscheneckgruppe im Toten Gebirge, die mit Ausnahme des namengebenden, beliebten Hauptgipfels keine Prestigeberge bietet, derentwegen man durch halb Europa reist. Dieses Gebiet ist ganz einfach nicht genügend cool und hip – und das wird es hoffentlich noch lange bleiben!

 

Nazogl, 2057 m, und Angerer Kogel, 2114 m

Vorerst heißt es, in Liezen anhand der Karte das schmale, gewundene Sträßchen zu finden, das einen auf 1200 m hinauf zur Hinteregger Alm bringt. Diese ist trotz ihrer leichten Erreichbarkeit noch nicht dem Tourismuskommerz zum Opfer gefallen und ein Refugium der Liezener geblieben. Im Westen der Alm, einer der schönsten der Steiermark, erhebt sich als unwiderstehlicher Blickfang der unglaubliche Spitz des Hochtausings.

 

Der Aufstieg auf den Nazogl zieht sich durch die Südflanke diagonal nach links: erst durch Wald, dann durch steiles, grasiges Gelände, die eingelagerten Felsbänder in geschickten Schleifen umgehend, und über felsdurchsetztes Wiesengelände zum Gipfel.

Der Übergang zum Angerer Kogel ist leicht; er führt über ein Alm- und Karstplateau (das letzte Stück ist unmarkiert) zum Gipfel. Der Abstieg ist allerdings kein Spaziergang. Er führt von der verfallenen Angerer Alm durch abwechslungsreiche Karstformen, die mit ihren Karren, Rillen und Trichtern einem versteinerten, spaltenreichen Gletscher ähneln (ohne die ausgezeichnete Markierung wäre dieses verwickelte Gelände ein tückischer Irrgarten!), zur Alplhütte. Hier dreht der Weg in südliche Richtung und führt durch einen bewaldeten, steilen Graben rund 500 Hm mühsam hinunter zur Alm im „Himmel“.

 

Anforderungen: Trittsicherheit und Ausdauer erforderlich

Gehzeiten: Hinteregger Alm–Nazogl 2,5 Std., Übergang zum Angerer Kogel 0,5 Std., Abstieg 2–2,5 Std.

 

Hochtausing, 1823 m

Der spitze Kegel dieses Mini-Matterhorns ähnelt Bergdarstellungen mittelalterlicher Maler. Auf heutige Bergfreunde hingegen wirken diese einstigen Chiffren für Unbesteigbarkeit geradezu aufreizend. Ihnen bieten sich gleich zwei Aufstiegsmöglichkeiten:

Der Ostanstieg, das sei nicht verschwiegen, ist eine rechte Wurzeltour, und mit seinem waldig-erdigen Gelände auch nicht ungefährlich, vor allem im Abstieg (I+, teilweise gesichert).

 

Der Tonisteig an der Westseite ist wesentlich schöner. Wegen der Jagdsperre des Tausingkares erfordert er zwar einen „umwegigen“ Zugang über die Schneehitz-Alm, trotzdem ist er, im Auf- und auch wieder im Abstieg begangen, die sicher bessere Variante (Klettersteig-Schwierigkeit B/C, sehr gut gesichert, 120 Hm).

 

Ausgangspunkt für beide Varianten ist der Parkplatz Schönmoos auf rund 1100 m, erreichbar von Wörschach auf einer schmalen Straße über das Gasthaus Panoramablick.

 

Anforderungen: Tonisteig: Klettersteig-Schwierigkeit B/C

Ostanstieg: teilweise gesichert, A/B, Kletterstellen bis I+

 

Gehzeiten: Schönmoos–Einstieg Ostanstieg 1,5 Std., Aufstieg über diesen ca.45 Min.

Schönmoos-Einstieg Tonisteig 2,5 Std., Tonisteig ca. 45 Min.

Die Abstiegszeiten entsprechen in etwa den Aufstiegszeiten.

 

Gindlhorn, 1259 m

Mit seinen bis zu 300 m hohen, anspruchsvollen Felsabstürzen ist das Gindlhorn mittlerweile ein Ziel für Kletterer geworden – die Wanderer kennen es schon viel länger.

Ausgangspunkt für diese überwiegend wenig schwierige Rundtour ist der wie für einen Werbeprospekt entworfene Ort Pürgg (nach der Tour unbedingt einen Rundgang machen!). Zunächst geht es auf einem Fahrweg dahin, dann über Wiesen aufwärts in den teilweise steilen Wald, den der Weg bis auf Höhe des „Jungfrausturzes“ quert. Die hölzerne, mit einem Geländer gesicherte „Himmelsleiter“ überwindet eine erdig-felsige Stelle. Oben wird bei einer schön gelegenen Jagdhütte eine Forststraße Richtung „Dachsteinblick“ erreicht; bei einer Gabelung links Aufstieg zum Gindlhorn (Trittsicherheit nötig, Holzleiter). Vom Gipfel hat man einen tollen Blick auf das Mitterndorfer Tal, den Dachstein und die Berge der Tauplitz; den halben Himmel aber verstellt der Grimming mit der gewaltigen Nordostflanke seines Multerecks. Absteigend gelangt man in Kürze zum Gasthaus „Dachsteinblick“ und folgt den Hinweistafeln Richtung Pürgg; im Wald erst leicht abwärts, nach einer kleinen Gegensteigung geht man hinunter zum Parkplatz.

Lohnend ist die Wanderung auch in umgekehrter Richtung: vom Gasthaus „Dachsteinblick“ nach Pürgg.

 

Anforderungen: Trittsicherheit erforderlich

Gehzeiten: Auf- und Abstieg jeweils 2 Std.

 

Über dem Wörschachwald

Das Gebiet Wörschachwald erreicht man, wenn man bei Tauplitz von der Salzkammergut-Bundesstraße abzweigt. In dieser „Seitengasse“ nehmen folgende Touren ihren Ausgang:

 

Gwendlingstein, 1645 m, und Hechlstein, 1814 m. Diese beiden lohnenden Insider-Aussichtsberge können infolge ihrer mäßigen Gipfelhöhe schon früh im Jahr bis zum späten Herbst (Schnee sollte aber keiner liegen) bestiegen werden. Die Tour auf den Gwendlingstein ist die „mildere“ und auch kürzere, die auf den höheren „Hechl“ die anspruchsvollere.

 

Gwendlingstein: Vom Parkplatz bei der Straßengabelung zum „Dachsteinblick“ (Kapelle) geht es auf dem Weg 278 aufwärts (nach wenigen hundert Metern Bauernhof, hier links), über Weidegelände und Forststraßen zu einer Wegteilung: Der Normalweg führt durch eine langsam neu begrünte Windwurfzone zum Sattel Struwin (1521 m) und auf einem schönen, bewaldeten Kamm von Osten zum Gipfelkreuz. Der Südanstieg erfolgt auf einem sehr steilen, teilweise erdigen Wald- und Schrofensteig von Westen zum Gipfel.

 

Anforderungen: Trittsicherheit und Ausdauer erforderlich

Gehzeiten: Wörschachwald–Gwendlingstein (Südanstieg wie auch Normalweg) je 2,5 Std., Abstieg 1,5–2 Std.

 

Hechlstein: Der Normalweg führt vom Wörschachwalderhof erst durch einen bewaldeten Graben und trifft dann auf den Weg 278, der auch über den Hechl-Hof erreicht wird. Nach zweimaliger Querung einer Forststraße geht es durch einen steilen, grasigen Schrofenhang, der zum felsigen Gipfelkamm hinauf zieht. Auf dem teilweise bewaldeten Rücken in westliche Richtung, mit einem kleinen Zwischenabstieg über Felsstufen zum höchsten Punkt.

Der Westgrat (schwarz) leitet vom Sattel Struwin durch Latschengassen und über mehrere felsige Aufschwünge (teilweise gesichert) gipfelwärts. Abstieg: jeweils über den Normalweg

 

Anforderungen: Trittsicherheit und Ausdauer erforderlich 

Gehzeiten: Wörschachwald–Hechlstein (Normalweg) 2,5–3 Std., Westgrat vom Sattel Struwin 1 Std., Abstieg 2 Std.

 

Wörschachklamm

Die Wörschachklamm, der wohl bekannteste Anziehungspunkt des Gebietes, ist vom Ennstal praktisch ohne Zustieg erreichbar und somit ideal für Familienausflüge; je nach Wetter- und Stimmungslage kann man diese Wandertour entsprechend erweitern.

Die halbstündige Klammbegehung mit einem anschließenden Besuch der Ruine Wolkenstein ist eine kurze Rundtour. Wandert man bis zum Spechtensee und umrundet diesen allenfalls, braucht man schon einige Ausdauer.

 

Gehzeiten: Klammbegehung 30 Min., Klammausstieg–Spechtensee 1–1,5 Std.; See-Umrundung ca. 1 Std. (teilweise schlammig – entsprechend feste Schuhe nötig); Spechtensee–Ruine Wolkenstein–Parkplatz 1,5 Std.

 

Mölbingkamm-Überschreitung

Diese ausnehmend schöne, alpine Kammwanderung führt über den First des Mölbingkamms. Wegen des fast vierstündigen Aufstiegs zum Ausgangspunkt Hochmölbinghütte handelt es sich um eine Zweitagetour (ein dritter Tag als Reserve kann nicht schaden), die das Herz von Gipfelsammlern höher schlagen lässt: überschritten werden Klein-, Mitter- und Hochmölbing (2166 m, 2322 m, 2341 m), Kreuzspitze (2333 m) und Schrocken (2289 m). Während dieser Tour genießt man unentwegt eine hervorragende Schau auf die östliche und nördliche Bergumrahmung des Stodertales. Bei der Elmscharte wird die Kammhöhe verlassen (Pyhrnerkampl und Torstein werden südlich umgangen), ab der Scharte Zwischenwänden (nahe der Einfahrt zur herrlichen Loigistalabfahrt) beginnt die letzte Bergwertung über die unauffällige Erhebung des Liezener (2367 m) zum Gipfelkreuz des Warschenecks (2388 m). Den Toten Mann (2137 m) gibt es im Abstieg noch als Draufgabe, und spätestens in der Rote-Wand-Scharte werden die bereits müden Knie den illusorischen Wunsch nach einem Fluggerät ans Gehirn senden. Zuallerletzt folgt noch eine Schikane: der Aufstieg hinauf zum Linzer Haus, wo man sich nach 7–8 Stunden Gehzeit eine mehr als verdiente Jause einverleibt.

Wer den Warscheneck-Gipfel auslassen möchte, zweigt bei der Wetterlucken Richtung Luckerhütte (nicht bewirtschaftet) ab. Das bringt zwar zeitmäßig keinen besonders großen Vorteil, weil das Gelände kein flottes Ausschreiten gestattet, dafür aber das Erlebnis eines einzigartigen Karsturwaldes mit Lärchen und Zirben, der – weil wirtschaftlich nicht nutzbar – unverändert geblieben ist.

 

Anforderungen: alpine Erfahrung, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Ausdauer nötig

 

Gehzeiten: Weißenbach bei Liezen–Hochmölbinghütte 3,5–4 Std., Kammüberschreitung bis Linzer Haus 7–8 Std., Abstieg Linzer Haus–Pyhrnpass 1,5 Std. (oder Wurzeralmbahn)

 

 

Text von Adi Mokrejs, Buchautor

 

Wanderkarten: ÖK 98 (UTM 4207/4213), Freytag & Berndt WK 082 „Bad Aussee – Totes Gebirge“; AV-Karte (1 : 25.000) Totes Gebirge/Ost; Kompass-Karten Nr. 68 und 69

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