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Schitouren für Konditionsstarke

Winterwandern, Schneeschuhgehen, Schibergsteigen - in den Bergen ist auch in der kalten Jahreszeit ganz schön viel los. Doch mit entsprechender Erfahrung und Übernachtungen in Winterräumen nicht bewirtschafteter Hütten kann man weiße Gipfelziele ganz für sich alleine haben.

Endlich! Es knistert. Beim dritten Versuch fangen die Kiefernscheite schließlich Feuer. Ein gut funktionierender Ofen ist das Herzstück eines jeden Winterraums. Ohne ihn gibt es weder warme Füße noch trockene Handschuhe. Und vor allem kein heißes Wasser.

Obwohl Schitourengehen seit Jahren extrem boomt, nehmen die Übernachtungen in Winterräumen meiner Erfahrung nach eher ab als zu. Die meisten ToureneinsteigerInnen wollen ungetrübten Abfahrtsspaß. Da wird ein schwerer Rucksack mit dem zusätzlichen Proviant ungern in Kauf genommen. Vor allem aber: Mehrtägige Schitouren mit Übernachtungen in nicht bewirtschafteten Hütten erfordern ein solides Lawinen-Know-how.

In diesem Beitrag stelle ich zwei gleichermaßen anspruchsvolle wie grandiose Schitourenwochenenden in den Lechtaler Alpen vor, während denen man selbst bei Kaiserwetter Bergeinsamkeit genießen kann. Der dritte Vorschlag ist für alle, die sich eine Winterraum-Unternehmung nicht zutrauen: ein Tourenwochenende in den Hohen Tauern mit dem Naturfreunde-Haus Kolm-Saigurn als Stützpunkt.

 

Schitourenwochenende 1: Steinsee-Runde

Unter beeindruckenden Südwänden und direkt auf einer Karschwelle gelegen haben sich die Erbauer der Steinseehütte ein besonders schönes Plätzchen ausgesucht. An der Landschaft kann es also nicht liegen, dass hier oben nur sehr selten SchitourengeherInnen vorbeischauen. Jetzt, Mitte Februar, sind meine Freunde und ich die Ersten, die sich ins Hüttenbuch eintragen, und wir bleiben an diesem wunderschönen Samstagabend auch die einzigen Gäste in diesem urigen Winter-Refugium.

 

Am frühen Morgen sind wir im eiskalten Angerletal aufgebrochen, wo uns lange Raureifnadeln davon berichteten, dass hier die Wintersonne ein rarer Gast ist. Einem flachen Talweg, der die Muskeln auf Betriebstemperatur bringt, folgt ein steiler Anstieg zur im Winter ebenfalls geschlossenen Hanauer Hütte, bevor ideal geneigte Hänge zur Vorderen Dremelscharte leiten. Dort oben erhaschen wir die ersten Sonnenstrahlen und haben eine überwältigende Aussicht.

 

Den wunderschönen Steinsee-Bergkessel bekommt man freilich nicht geschenkt. Als Eintrittsgebühr muss eine steile Südrinne gemeistert werden. Je nach schifahrerischem Können stürzen, rutschen oder wedeln wir dem Steinsee entgegen. Stilnoten werden heute nicht vergeben.

Im Talkessel angekommen entdecken wir einen vielversprechenden Bonustrack. Der riesige Westhang des gegenüberliegenden Bergwerkskopfs lockt mit glitzerndem Pulverschnee. Diese zusätzlichen 300 Höhenmeter wollen wir uns nicht entgehen lassen. Unsere müden Oberschenkel sehen das freilich etwas anders, werden aber auf der Abfahrt versöhnt. Vom ersten Bogen bis zum Einkehrschwung vor der Hütte spritzt der Pulverschnee im weichen Licht der sich verabschiedenden Sonne.

 

Mit netten Freunden können Winterraum-Nächte erstaunlich kurz sein. In der Früh glimmt noch die letzte Glut im warmen Ofen. Bei heißem Tee studieren wir nun die Gebietskarte. Schließlich soll die - nomen est omen - Verborgene Gratscharte schwer zu finden sein. Selbst der Maßstab 1 : 25.000 hilft uns nicht weiter. Heute ist alpinistischer Spürsinn gefragt.

 

Links oder rechts? Am Talschluss des Steinsee-Kessels stellt sich die Frage, welche der beiden über uns liegenden Rinnen den Übergang ins Großkar ermöglicht. Die rechte gewinnt unser Vertrauen und unsere Gruppe schnell an Höhe. Grundloser Schnee und eine kleine Steilstufe zwingen die Schier auf den Rucksack und das Aufstiegstempo in die Knie.

 

Auf den letzten Metern zum Grat steigt die Spannung. Der schwindelerregende Tiefblick am Ausstieg scheint das abrupte Ende unserer Schitour zu markieren. Dann entdecken wir wenige Meter weiter südlich den entscheidenden Durchschlupf, respektive Absatz. Ein kleiner Sprung. Und schon stehen wir am Ansatz einer breiten Rinne, die in einen riesigen Osthang mündet, der uns zur Belohnung mit bestem Pulverschnee empfängt.

 

Großartige Abfahrten machen freilich nicht die ganze Faszination hochalpiner Schidurchquerungen aus. Dass diese Spielart des Bergsports auch als „Königsdisziplin des Alpinismus“ gehandelt wird, hat auch damit zu tun, dass man auf anspruchsvollen Unternehmungen die richtige Route ohne Wegweiser und Markierungen finden und spuren muss. Ob Großkar, Kleinkar oder Brunnkar. Die weiten vor uns liegenden Bergkessel machen in dieser Hinsicht königlichen Anforderungen alle Ehre. Nicht der Hauch einer Schispur stört die winterliche Bergeinsamkeit. Und das bei perfekten Schnee- und Wetterverhältnissen!

 

Nach viereinhalb Stunden reiner Aufstiegszeit sehen wir am 2510 Meter hohen Brunnkarjöchl gerade noch die Sonne hinter der Großen Schlenkerspitze verschwinden. Mit diesem Fastdreitausender wird es heute also nichts mehr. Egal! Zwei Tage auf der Steinsee-Runde sind auch ohne Gipfelkreuz ein unvergessliches Erlebnis.

 

Weitere Informationen

1. Tag: über die Vordere Dremelscharte (2434 m) zur Steinseehütte

1100 Hm, 4 Std.

Ausgangspunkt: Boden, 1356 m

Endpunkt: Steinseehütte, 2061 m

 

2. Tag: über das Brunnkarjöchl (2510 m) ins Fundaistal

1000 Hm, 6 Std.

Ausgangspunkt: Steinseehütte, 2061 m

Endpunkt: Boden, 1356 m

 

Unterkunft: Winterraum der Steinseehütte, mit AV-Schlüssel zugänglich, www.steinseehuette.at

Karte: Alpenvereinskarte Nr. 3/4 Lechtaler Alpen, Heiterwand, 1 : 25.000

Literatur: Michael Pröttel, „Das perfekte Skitouren-Wochenende. Touren für 2 bis 4 Tage“, Bergverlag Rother, 2015

Schitourenwochenende 2: Frederic-Simms-Hütte

Auch ganz im Westen der Lechtaler Alpen hat man gute Chancen, Schitoureneinsamkeit zu erleben. An einem kalten, strahlenden Samstag mit Lawinenstufe zwei brechen außer uns nur zwei weitere Tourengeher in Kaisers auf. Was vielleicht auch daran liegt, dass man südlich des Lechs wenige Anfängertouren findet. Kein Geringerer als Dieter Elsner lehnt sich in seinem Lechtal-Führer einigermaßen weit aus dem Fenster: „Schitouren in dieser Gebirgsgruppe zählen sicher zu den anspruchsvollsten der gesamten Alpen.“ Die umliegenden Steilhänge und Felsflanken scheinen den Lawinen- und Gebietsspezialisten zu bestätigen.

 

Nach einem grandiosen Anstieg über einen nicht enden wollenden Südwesthang genießen wir auf der Aples-Pleis-Spitze die Aussicht auf die optionalen Ziele des nächsten Tages Holzgauer Wetterspitze und Feuerspitze. Allerdings fast etwas zu lang. Als wir nämlich nach Abfahrt und Gegenanstieg am entscheidenden Übergang zur Frederic-Simms-Hütte ankommen, wird das Lahnzugjöchl schon von den letzten Sonnenstrahlen gestreift.

 

Für die vielleicht am meisten beeindruckende Abfahrt der Lechtaler Alpen bleibt nun nicht mehr viel Zeit. Eingerahmt von riesigen Steilflanken wedeln wir einen perfekten Tiefschneehang hinab und müssen dabei gut aufpassen. Immer wieder queren wir so hoch wie möglich zum rechts von uns aufragenden Kamm. Irgendwo dahinter soll laut Karte die Hütte liegen. Zu tief ins menschenleere Sulzeltal abzufahren wäre fatal. Die Dämmerung schreitet unerbittlich voran.

 

„Wer baut an so einem Platz eine Hütte?“, schießt es mir durch den Kopf, als wir das heiß ersehnte Ziel entdecken. Das kleine Bauwerk klammert sich an eine riesige weiße Steilflanke. Im Licht der Stirnlampen bewältigen wir eine letzte Querung und sind nicht überrascht, die Winterraumtür freischaufeln zu müssen. Davon, dass wir (Ende Februar) die Ersten sind, die sich ins Hüttenbuch eintragen, hingegen schon.

 

Am nächsten Morgen zeigt das Außenthermometer -22 °C, was ehrgeizige Gipfelpläne in die Knie zwingt. Anstatt uns die Finger am Klettersteig der Holzgauer Wetterspitze abzufrieren, wollen wir den Feuerstein mit Schiern besteigen. Nach dem zweiten Übergang des Lahnzugsjöchl stehen wir am Beginn einer bereits von der Aples-Pleis-Spitze aus begutachteten Rinne und stellen fest: Sie ist wirklich so steil, wie sie von der Ferne aussah. Und noch dazu pickelhart. Mit aller Kraft treten wir kleine Stufen in den windverpressten Harsch.

 

Zum Glück schont der weite Gipfelhang der Feuerspitze unsere Oberschenkelkraft. Denn genau die brauchen wir zum Befahren der harten Steilrinne. Einem defensiven Risikomanagement entsprechend fahren wir den Engpass samt dessen riesigen Hangfuß einzeln ab. Was sich als goldrichtige Entscheidung herausstellt. Genau als Christian hinter einem sicheren Felsblock einschwingt, löst Flo ein veritables Schneebrett aus. Nach einem kurzen Schreck erhärtet eine genaue Schollenanalyse den Verdacht: Der vermeintlich bombenfeste Harschdeckel setzte sich unterhalb der Rinne zwar fort, lag dort aber auf einer heimtückischen Schwimmschneeschicht. Doch zur Versöhnung beschert uns Frau Holle bis nach Kaisers unverspurten Pulverschnee.

 

 

Weitere Informationen

1. Tag: über Aples-Pleis-Spitze (2648 m) und Lahnzugjöchl (2585 m) zur Frederic-Simms-Hütte

1400 Hm, 6 Std.

Ausgangspunkt: Kaisers, 1500 m

Endpunkt: Frederic-Simms-Hütte, 2004 m

 

2. Tag: über Lahnzugjöchl (2585 m) und Feuerspitze (2852 m) nach Kaisers

900 Hm, 6 Std.

Ausgangspunkt: Frederic-Simms-Hütte, 2004 m

Endpunkt: Kaisers, 1500 m

 

Unterkunft: Winterraum der Frederic-Simms-Hütte (DAV), nicht versperrt, www.simmshuette.com

Karte: Alpenvereinskarte Nr. 3/3 Lechtaler Alpen, Parseierspitze, 1 : 25.000

Literatur: Dieter Elsner/Michael Seifert, „Skitourenführer Lechtaler Alpen inkl. Tannheimer Berge“, Panico Alpinverlag, 7. Auflage, 2015

Schitourenwochenende 3: Schneeloch Kolm-Saigurn

Wer weder ein zusätzliches Rucksackgewicht noch anstrengende Spurarbeit in Kauf nehmen möchte, ist in der Sonnblick-Gruppe genau richtig. Das Naturfreude-Haus Kolm-Saigurn ist einer der besten Tourenspots der Hohen Tauern. So kann man von dem beeindruckenden, schneesicheren Talschluss berühmte Ziele wie den Hohen Sonnblick und den Hocharn in Angriff nehmen. Diese zwei Dreitausender bieten bis zu 1600 Abfahrtshöhenmeter und sind bei günstigen Schneeverhältnissen so gut wie immer gespurt. In Verbindung mit einer kürzeren Eingehtour (zum Beispiel auf die Kolmkarspitze) am Anreisetag und zwei Übernachtungen im Naturfreunde-Haus ergibt sich ein perfektes verlängertes Schitourenwochenende.

 

Text und Fotos: Michael Pröttel, Alpinjournalist

Weitere Informationen

1. Tag: Kolmkarspitze (2529 m)

1000 Hm, 4 Std.

Ausgangspunkt: Parkplatz Lenzanger, 1550 m

Endpunkt: Naturfreunde-Haus Kolm-Saigurn, 1598 m

 

2. Tag: Hocharn (3254 m)

1650 Hm, 7 Std.

Ausgangs- und Endpunkt: Naturfreunde-Haus Kolm-Saigurn, 1598 m

 

3. Tag: Hoher Sonnblick (3106 m)

1500 Hm, 6 Std.

Ausgangspunkt: Naturfreunde-Haus Kolm-Saigurn, 1598 m

Endpunkt: Parkplatz Lenzanger, 1550 m

 

Unterkunft: Naturfreunde-Haus Kolm-Saigurn, Tel.: 0 65 44/81 03, www.sonnblickbasis.at

Karte: Alpenvereinskarte Nr. 42 Sonnblick, 1 : 25.000

Literatur: Michael Pröttel, „Das perfekte Skitouren-Wochenende. Touren für 2 bis 4 Tage“, Bergverlag Rother, 2015

An der Feuerspitze ist man auch an Wochenenden oft alleine
Das Herzstück eines jeden Winterraumes ist der Ofen, wie hier in der Frederic-Simms-Hütte, an dem man sich auch die kalten Füße wärmen kann.
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