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Kletterroute "Zehn nach fünf", Dachstein Südwand

Alpinkadermitglied Tanja Kuster und ihrem Kletterpartner Hannes Gottschlich gelang im Sommer 2020 die Begehung der Route „Zehn nach fünf“, die in fast direkter Linie durch die Dachstein-Südwand zum Gipfel führt.

 

Text und Fotos: Tanja Kuster, Mitglied des Naturfreunde-Alpinkaders

 

Adi Stockers Kletterführer „Longlines – Die ganz großen Klettereien der Nördlichen Kalkalpen“ ist für viele Alpinkletterinnen und -kletterer etwas Besonderes. Er liegt auch bei mir zu Hause, und ich blättere ihn immer wieder durch. Diese Tour wäre cool. Und die erst! Und genau in diese Kategorie fällt für mich die 30-Seillängen-Route „Zehn nach fünf“ zum Hohen Dachstein (2995 m), die ich mit Hannes Gottschlich im letzten Sommer in Angriff genommen habe.

 

Scharf aufs Klettern

Im ersten Tageslicht erreichten Hannes und ich den Schneerest unter der Wand. Wir erkannten, was wir beim Studieren des Topos nicht hatten glauben wollen: Man braucht keine Steigeisen, um zum Einstieg zu gelangen, da man das Schneefeld rechts umgehen kann. Wir ließen das unnötige Gewicht im Geröll zurück. Wir würden das Zeug eben am nächsten Tag holen.

 

Wie in einer Gletscherspalte legten wir zwischen Fels und Eis unsere Ausrüstung an. Es war ganz schön frisch. Ich hatte eher damit gerechnet, dass es in einer Südwand im Hochsommer unerträglich heiß sein würde. Diesen Irrtum bereute ich noch den ganzen Tag. Wir hatten beide kalte Finger. Hannes bat mich, die erste Länge zu übernehmen. Mein Körper war kalt, meine Bewegungen steif und ungewohnt. Als ich aber beim ersten Stand ankam, fühlte ich mich wieder gut, und ich war nur mehr scharf aufs Klettern.

 

 

Kraftbetonte Kletterei

Es blieb allerdings ziemlich kalt, und wir kamen auf den ersten Längen eher langsam voran. Der Fels war ein absoluter Traum: So rau und unberührt! Haken gab es nicht viele. Dazwischen legten wir mobile Sicherungsmittel. Dann kam ich zu einer 6+-Stelle. Ein Überhang. Die Dächer und Überhänge am Dachstein waren mir immer als besonders gemein beschrieben worden, und jetzt erkannte ich, wieso: Die Kletterei war ziemlich kraftbetont. Ich spürte das Gewicht des Rucksacks. Das soll eine 6+ sein? Ich musste mich ins Seil setzen. Na gut, dann kein Rotpunkt. Egal, der Durchstieg zählt.

Dann kamen die Sonne und leichteres Gelände. Wir waren schnell und erreichten unerwartet plötzlich den Punkt, an dem unsere Route für zwei Seillängen über das „Salzburger Band“ gemeinsam mit dem „Steinerweg“ verläuft. Beinahe hätten wir uns hier verstiegen. Aber ruhig bleiben, aufs Topo schauen. Ja, jetzt ergab alles wieder Sinn.

 

 

Schlüssellängen 7- und 7

Der Beginn der Hauptwand: Senkrecht bis leicht überhängend reicht der wunderschöne, von waagrechten Bändern durchzogene Fels bis zum Gipfel. Jetzt wurde es wieder schwerer. Und es blieb so. Ziemlich konstant ist hier jede Länge im sechsten Schwierigkeitsgrad angesiedelt. Ich schoss ein Foto von Hannes. Unter seinen Füßen war nur Luft, und man konnte direkt zum Einstieg sehen.

Wir erreichten die zwei Schlüssellängen. 7- und 7. Ich war bei der 7- dran. Den Routenverlauf konnte ich nicht wirklich erkennen, aber ich kletterte einmal los. Weit und breit keine Haken zu sehen. Ich kletterte nach vor und zurück, war mir unsicher. Gerade sah es schwer aus, links brüchig. Ich entschied mich für die linke Variante. Am Stand erkannte ich, dass der eigentliche Routenverlauf doch rechts gewesen wäre. Hannes stieg zu mir nach und meinte so etwas wie „mutiger Vorstieg“. Ich konnte nur nervös lächeln. Ihm gehörte die 7. Beim Bohrhaken vor der Schlüsselstelle setzte er sich kurz ins Seil. „Das geht, ich trau mir das zu“, rief er zu mir hinunter. Dann kletterte er weiter. Sehen konnte ich ihn von diesem Moment an nicht mehr. Ich hörte ihn leise fluchen, anscheinend hatte er Probleme mit einem Friend. Doch er schaffte es, und ich stieg nach.

 

 

Wunschlos glücklich

Ab da wussten wir, es würde noch anstrengend werden, aber die Hauptschwierigkeiten lagen hinter uns. Die Haut an den Fingern wurde weniger und die Kuppen begannen bei jedem Weitergreifen zu schmerzen. Wie spät war es eigentlich? Ich dachte an den Namen unserer Tour: „Zehn nach fünf“. Das war der Zeitpunkt, an dem die letzte Gondel fuhr, als die Route eröffnet wurde. Und obwohl die Gondel im Sommer 2020 länger ihren Dienst tat, war uns klar, wir würden sie nicht mehr erwischen.

Gegen 18 Uhr sicherte mich Hannes durch einen Felsbogen. Das war’s. Die Kletterei war vorbei. Ich konnte mein Glück kaum fassen und grinste von einem Ohr zum anderen. In wenigen Schritten waren wir am Gipfel des Hohen Dachsteins, genossen kurz den Moment und die herrliche Abendstimmung, bevor wir uns schnell zur Seethalerhütte aufmachten, um diese noch vor dem Dunkelwerden zu erreichen.

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