In den Gebirgen verschieben sich die Grenzen von Vegetationsgemeinschaften nach oben, und die Pflanzen der Gipfelfluren verlieren ihren Lebensraum. Welche Rolle spielt nun der Klimawandel im größten Teil der Biosphäre, in den Ozeanen? Wie reagiert das uns nächstgelegene Meer, das Mittelmeer, auf diese Veränderungen?
Das Wasser der Ozeane speichert und transportiert ungeheure Wärmemengen und beeinflusst mit seinen Strömungen das Klima des Festlandes weit über die Küstenregion hinaus. So würde das Klima Europas ohne die Wirkung des Golfstroms um etwa 5° C kühler als heute sein. Die Stärke des Golfstroms ist jedoch von der Bildung schweren kalten Wassers im Nordatlantik abhängig, das absinkt und durch warmes Oberflächenwasser in einer Art Förderbandsystem ersetzt wird. Dieses Förderband könnte bei einer nur geringen Erwärmung der Meeresoberfläche zum Stillstand kommen. Die Erwärmung des von Land umschlossenen Mittelmeers könnte für die Bewohner der dicht besiedelten Küsten weitreichende Konsequenzen haben. Das bereits trockene Klima könnte noch trockener werden und bestehende Probleme der Trinkwasserversorgung, vor allem auf den vielen Inseln, vergrößern. Bei einer Oberflächentemperatur über 26 bis 27° C steigt auch die Wahrscheinlichkeit der Entstehung schwerer Wirbelstürme (Hurrikans).
Klimawandel und Küstengewässer
Sosehr eine höhere Temperatur des Meeres unseren Badespaß erhöhen könnte, sosehr kann sie die biologischen Prozesse in Küstengewässern stören. Nur eine vergleichsweise dünne Wasserschicht wird von der Sonneneinstrahlung erwärmt. Darunter liegt die riesige kalte Wassermasse der tiefen Ozeane. Im Mittelmeer ist die im Sommer auf über 20° C erwärmte Schicht etwa 20–25 m dick, darunter hat das Wasser ganzjährig nur 12–13° C. Durch diese Thermokline genannte Temperatursprungschicht gibt es nur wenig Wasseraustausch, und das tiefe Wasser wird, abgeschnitten von der Oberfläche, sauerstoffarm. Bildet sich die Thermokline sehr früh, kann das tiefe Wasser sauerstofffrei werden, was zu einem Massensterben von auf dem Meeresboden lebenden Tieren führt. Auch wenn diese Katastrophen in der Tiefe an der Küste weitgehend unbemerkt bleiben, können die in den oberflächlichen Schichten nun vermehrt auftretenden Algenblüten mit Schaum- und Schleimbildungen den Badetouristen das Vergnügen nehmen.
Viele Meeresorganismen sind überdies äußerst empfindlich gegenüber geringfügigen Temperaturerhöhungen. Ein dramatisches Beispiel dafür ist die „Korallenbleiche“: Riffkorallen stoßen bei anhaltenden hohen Temperaturen ihre symbiotischen Algen aus, bleichen dadurch aus und sterben später. Im Mittelmeer hat die Ausdehnung der sommerlich warmen Oberflächenschicht bis in eine Tiefe von 50 m an vielen Küsten zum Absterben der kältegewohnten Hornkorallen geführt.
Klimawandel und Verbreitung von Organismen
Wie in Berggebieten die Höhenlage wird sich im Meer die Tiefenlage von Verbreitungsgrenzen verschieben; kältebedürftige Arten werden in größere Tiefen ausweichen, in denen jedoch die Ernährungssituation schlechter als nahe der produktiven Oberfläche ist. Aber auch horizontal werden sich Verbreitungsgrenzen verschieben, und hier wird es Gewinner und Verlierer geben. Zu den Letzteren werden im Mittelmeer jene Organismen zählen, die auf die nördlichen Flachseegebiete beschränkt sind, in denen die Temperaturen im Winter unter 10° C sinken. Beispiele sind die Eisseesterne oder die Kaiserhummer („Scampi“), die als Eiszeitrelikte in der Adria gelten. Andererseits begünstigt die Klimaerwärmung die Ausbreitung von Arten tropischer Herkunft, die entweder durch den Suezkanal aus dem Roten Meer einwandern oder in zunehmendem Maße über das Ballastwasser eingeschleppt werden. Auch leichtfertige oder unbeabsichtigte Freisetzungen aus Aquarien tragen zur Etablierung exotischer Arten bei. Bis zu 500 Arten solcher Neueinwanderer werden im Mittelmeer vermutet. Diese erhöhen aber nicht, wie man vermuten könnte, den Artenreichtum und die Buntheit der Mittelmeerflora und -fauna, sondern verdrängen einheimische Arten, da ihnen vielfach die speziellen Feinde und Krankheitserreger fehlen, die sie in ihrer Heimat im Zaum halten. Dramatische Beispiele sind die subtropische Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, die sich in den 1980er Jahren im Schwarzen Meer massenhaft vermehrte und durch Fressen der Sardinenbrut zum Kollaps der Fischerei führte, und die aus einem Meeresaquarium stammende pazifische „Killeralge“ Caulerpa taxifolia, welche die für den Küstenschutz wichtigen Neptunsgras-Wiesen überwächst, beschattet und zum Absterben bringt.
Klimawandel und Tiefenzirkulationen
Die wahrscheinlich weitreichendste Konsequenz des Klimawandels ist die Veränderung großräumiger Zirkulationsmuster, wie sie schon für das Golfstrom-Förderbandsystem beschrieben wurden. Da diese wiederum auf das Klima rückwirken, sind ihre Auswirkungen und ihr Verlauf noch unzureichend verstanden, und die Modelle, die Prozesse im Ozean und der Atmosphäre koppeln, noch zu ungenau. Das Mittelmeerbecken ist durch seine starke Gliederung der Küsten und seinem Reichtum an Inselgruppen und Meeresschwellen äußerst kompliziert gestaltet. Zwei große Teilbecken westlich und östlich der Schwelle von Sizilien werden im Winter mit kühlem Tiefenwasser aus unterschiedlichen Küstengebieten versorgt. Im Westen ist es der Golf von Lyon, im Osten war es im Wesentlichen die Adria, deren Nordteil im Winter stark auskühlt. Seit den 1990er Jahren hat sich jedoch dieses Zirkulationsmuster geändert, und das Tiefenwasser kommt ausschließlich aus dem nördlichen Ägäischen Meer. Der winterliche Abfluss des Wassers war jedoch für die Versorgung der Adria mit frischem Oberflächenwasser aus dem Süden notwendig. Nun wird das durch die großen Süßwasserzuflüsse aus dem Po und anderen Alpenabflüssen salzarme und leichte, aber auch nährstoffreiche Wasser nur unzureichend ausgetauscht. Die Konsequenz sind verstärkte Algenblüten an der Oberfläche und sich ausbreitender Sauerstoffmangel am Meeresboden.
Die Zukunft der Meere
Skeptiker und jene Leute, die durch Klimaschutzmaßnahmen Einbußen in Verdienst und Komfort befürchten, wenden oft ein, es sei ja „alles schon da gewesen“. Heiße Sommer, schwere Unwetter, Algenblüten und ähnliche Extremereignisse hätte es immer schon gegeben. Das stimmt wohl, aber Häufigkeit, Ausmaß und Intensität dieser Ereignisse nehmen zweifellos zu. Die Biosphäre hat auch schon Ärgeres überlebt. Vor etwa 700 Millionen Jahren waren die Ozeane wahrscheinlich weitgehend zugefroren, vor 100 Millionen Jahren war es dagegen viel wärmer als heute, und die Pole waren eisfrei. Dafür stand der Meeresspiegel so hoch, dass große Teile der Kontinente überflutet waren. Keine dieser beiden extremen Klimaszenarien wünschen wir uns heute, obwohl sie „schon da gewesen“ waren.
Was haben wir also zu erwarten? Wenn es gelingt, die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen, kann die globale Erwärmung zum Stillstand kommen. Wenn dies rechtzeitig geschieht, könnten dramatische Änderungen in den Zirkulationen der Ozeane ausbleiben. Mit extremen Wettersituationen werden wir leben lernen. Die Meeresfauna und -flora werden sich regional ändern, Arten werden lokal und vielleicht auch global aussterben, andere werden sich ausbreiten, oft unter spektakulären Umständen. Die Zerstörung von Ökosystemen wie die der Korallenriffe, die in Jahrtausenden gewaltige Kalkstrukturen erzeugt haben, kann dramatische Folgen für die dann ungeschützten Küsten und ihre Bewohner haben sowie die Erosion als Folge des Seespiegelanstiegs zusätzlich verstärken. Wenn aber der Klimawandel im heutigen Ausmaß weitergeht, könnten selbstverstärkende Prozesse, wie etwa die Freisetzung des stark wirksamen Treibhausgases Methan aus Permafrostböden und unterseeischen Methaneislagern, zu radikalen Änderungen der Lebensbedingungen auf der Erde führen. Die Welt wird dies überleben, aber auch wir Menschen?
Text von Univ.-Prof. Dr. Jörg Ott, Leiter des Departments für Meeresbiologie der Universität Wien und Präsident des Vereins „Haus des Meeres“