Text: Marlies Czerny, Fotos: Andreas Lattner-Czerny
Nach dem Sportklettern-Modul des Naturfreunde-Alpinkaders raspelte Hannah Rabl sich die Hornhaut von den Fingerkuppen. Die klingt hart auf ihrer Harfe – und wer auf so einem hohen Niveau wie Hannah Harfe spielt, hört den Unterschied. Ein Auftritt in einer Oper, ein Solo mit einem Orchester, die Hintergrundmusik in Hotels oder die Begleitung von Hochzeiten und Beerdigungen: Hannah und die Harfe, das ist stimmig. Rückt die Tirolerin mit dem Alpinkader aus, gerät sie allerdings zu Hause unter Zugzwang, um nicht zu sagen unter Zupfzwang. Drei Stunden Üben stehen in der Regel jeden Tag am Programm, um den Anforderungen ihres Studiums Instrumental- und Gesangspädagogik am Mozarteum - im Hauptfach Konzertharfe und mit Schwerpunkt Volksharfe - gewachsen zu sein. Daneben unterrichtet die 23-Jährige in der Musikschule Hall zwei Nachmittage pro Woche Harfe, was ihr große Freude bereitet - genauso große Freude wie der Alpinismus.
Die Virtuosin in der Vertikalen, die auch einen Konditorinnen-Lehrabschluss in der Tasche hat, kann sich sehr gut vorstellen, auch die Berge zu ihrem Arbeitsplatz zu machen. Die Ausbildung zur Bergführerin ist ein Weg, den sie gerne einschlagen möchte. Ein zweiter Weg steht ihr auch offen: Sie könnte in die Fußstapfen ihres Vaters Axel treten, des Eigentümers des Alpinverlags Jentzsch-Rabl. Oft hat Hannah auf Klettertouren einen Zettel in der Tasche, um Routenskizzen professionell aufzuzeichnen. „Aber nur, wenn es sich um kein sensibles Gebiet handelt“, betont Hannah. Das ist ihr wichtig, bevor sie Toureninfos für die Internet-Plattform bergsteigen.com aufbereitet.
Seit Anfang März 2025 teilt sich Hannah Rabl nicht nur das Seil mit ihrer Alpinkader-Kollegin Jana Scheiring, sondern auch den Wohnungsschlüssel. Auch Jana studiert in Innsbruck, und zwar Architektur. Die 22-Jährige fände es eine tolle Option, eines Tages ihren Job mit den Bergen zu kombinieren – Stichwort Hüttenarchitektur. Um neben dem Studium Geld zu verdienen, jobbt sie im Catering. Nachtschichten bis vier Uhr früh sind keine Seltenheit – wenn nicht gerade der Wecker um diese Zeit klingelt, weil sie eine hochalpine Tour startet. Jana Scheiring ist mit ihrer Zeiteinteilung zufrieden. „Es gibt Phasen, vor allem gegen Semesterende, in denen ich richtig viel am Laptop sitze und kaum in den Bergen bin. Doch für drei freie Sommermonate nehme ich das gerne in Kauf.“ Bei der Bergrettung Sautens ist Jana ebenso engagiert wie in der Kletterhalle in Telfs, wo sie eine Kinderklettergruppe betreut.
In einem kleinen Kletterladen in Tirol jobbt Sabrina Unger neben ihrem Ökologiestudium. Die 28-jährige gebürtige Münchnerin, die in Innsbruck wohnt, möchte mit Tieren arbeiten – Dschungelforscherin war lange eine Idee. Doch seit der Alpinkader eine größere Liebe zu den Bergen entfacht hat, kann sie sich nicht mehr vorstellen, auf einer einsamen Insel zu forschen. Nach einer stressigen Woche folgen meist ein, zwei ruhigerer Wochen; dieser Rhythmus kommt ihr gut gelegen – die Kletterfelsen rufen.
Im ersten Semester ihres Masterstudiums Strategisches Management und Innovation ist Elisabeth Mayr ins Schnaufen gekommen. Jede Woche war gespickt mit Prüfungen, Abgaben und Präsentationen. „Das war extrem stressig und manchmal bitter, wenn ich an einem sonnigen Wochenende nicht klettern konnte“, gesteht die 24-Jährige; dennoch versucht sie, damit nicht zu hadern. Sie ist sich ihrer Prioritäten und ihren Ansprüchen bewusst: „Ich mag den Master in der Regelstudienzeit schaffen. Es wird bestimmt wieder entspannter, und ich freu mich auf den Sommer.“
Ihre Work-Life-Balance besser ausgeglichen hat Elena Prem erst während des Alpinkader-Lehrgangs. Sie wechselte als Physiotherapeutin in die Sportklinik nach Zell am Ziller. Auch dem Rat ihrer Mutter folgend, die sagte: „Du musst dir das so richten, dass es für dich passt.“ An drei langen Arbeitstagen dreht sich alles um ihre Patientinnen und Patienten, die vier übrigen Tage sind klassischerweise Berg-Tage, die Elena Prem auch mit der Bergrettung Wattens verbringt. Um sich im Herbst einen Monat Zeit für die Abschlussexpedition des Alpinkaders freizuschaufeln, sammelt sie nun fleißig Überstunden. Für diese Flexibilität ist die 24-Jährige sehr dankbar. „Das ist nur möglich, weil mich mein Chef und mein Team so gut unterstützen.“ Sie träumt davon, ihr Hobby zum Beruf zu machen – der Wunsch, Bergführerin zu werden, wird von Modul zu Modul größer.
Elena Barbist arbeitet 40 Stunden Vollzeit als Hebamme im Krankenhaus Zams. Nach ihren zwölfstündigen Schichten versucht sie, gut auf ihren Körper zu hören: Braucht er Ruhe oder will er raus? Manchmal findet sie es hart, alles unter einen Hut zu bekommen, bleibt aber herzlich. „Mittlerweile weiß ich, dass ich nach einem Nachtdienst höchstens eine Runde sportklettern gehe.“ Auch wenn sie das Zeug zu einer steilen alpinen Karriere hätte, bleibt sie weiterhin ihrem Job treu: „Ich gehe sehr gerne zur Arbeit und genieße die Abwechslung sehr. Ich brauche den Kontrast dieser Lebenswelten.“ Zwischen ihrer Bergleidenschaft und ihrer Berufung, mit Frauen und Babys zu arbeiten, sieht die 25-Jährige auch Parallelen: vom Durchhaltevermögen bis hin zum Risikomanagement. „Auch bei einer Geburt kann sich schlagartig etwas ändern.“ Vor allem aber erfreuen sie jene emotionalen Momente, in denen aus einem Paar eine Familie wird.
Eine Woche Resturlaub kommt Elena Barbist heuer gut gelegen. Ihren gesamten Urlaubsanspruch wendet sie für die Alpinkader-Ausbildungen und die Abschlussexpedition auf. „Weil es eine supercoole Zeit ist, passt das gut“, meint die Hebamme. Erst nach der Haupturlaubszeit im Sommer kann sie sich vier Wochen am Stück freinehmen. Somit geht es im September für die sechs Alpinistinnen mit ihrer Ausbildnerin und Bergführerin Barbara Vigl auf die gemeinsame Abschlussexpedition des Alpinkaders 4.0. Die Vorfreude ist ebenso groß wie die Spannung, ob sich diese Reise mehr nach Arbeit anfühlen wird – oder nach Vergnügen.
In der mittlerweile fünften Alpinkaderrunde werden 18–26-jährige bergsportbegeisterte Frauen und Männer in den verschiedenen Bereichen des Alpinismus ausgebildet und gefördert. Die Nachwuchs-Alpinist*innen verbessern ihre Fähigkeiten in den Modulen Klettern (Sport-, Alpin- und Eisklettern), Skitouren und Hochtouren.
Es gibt zwei Teams mit je 6 Teilnehmer*innen. Der Alpinkader Frauen startete im Frühling 2024 und läuft bis Ende 2025. Im April 2025 startete der Alpinkader der Männer.