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Biken im Valle Maira

Das Valle Maira ist ein wahres Mountainbike-Paradies: Es bietet ein riesiges Netzwerk alter Trails und Militärpfade, die allerdings auf 2500 bis 3000 Metern Höhe liegen. Aber auch unten im waldigen Tal warten jede Menge Trails darauf befahren zu werden.

 

Text: Holger Meyer, Fotos: Andreas Vigl

 

Mittlerweile gleiten Karen und ich schon seit Stunden mit dem Auto durch die grüne Hügellandschaft des Piemonts. Je weiter wir in die Berge fahren, umso ruhiger wird es. Kaum noch ein Supermarkt, keine Menschen, ab und zu mal eine Bar. Wir halten kurz an, kaufen in einem kleinen Dorfladen eine Landkarte. Schon eine ganze Zeit sind wir im Valle Maira, benannt nach dem gleichnamigen Fluss am Talboden, der Richtung Osten in den Po fließt. Sind wir überhaupt noch richtig? Wir rufen unsere Kontaktperson Peter Vogt an. „Ja“, sagt er, „ihr seid richtig, in 20 Minuten seid ihr da!“

 

Außergewöhnlich: das Hoteldorf Ceaglio

In Ponte Marmora biegen wir links ab und kurven hinauf zum Hoteldorf Ceaglio, das am Fuß der Gardetta-Hochebene auf 1223 Metern im Ortsteil Vernetti der Gemeinde Marmora liegt. Als wir in dem kleinen Weiler bestehend aus ein paar ineinander verschachtelten grauen Steinhäusern ankommen, geht die Sonne hinter den mächtigen umliegenden Berggipfeln unter. Ein älterer grauhaariger Herr in Hemd und Pullover steht freundlich lächelnd auf der Straße und empfängt uns auf Schweizerdeutsch: „Hallo, ich bin Peter, wie war eure Fahrt?“ Wir antworten mit „lang“ und erzählen ihm gleich von unserem Plan, die Trails hier in der Region zu erkunden. Er ist darüber hellauf begeistert und freut sich, uns sein Zuhause zu zeigen. Wir schlendern ins Dorf. Überall stehen einladend Stühle und Bänke. Die Fensterläden und Hauswände sind liebevoll mit alten Landwirtschaftsgeräten und Blumen geschmückt. Peter Vogt kam vor rund 15 Jahren in diese entlegene Gegend Italiens, die noch heute von extremer Abwanderung geprägt ist. Viele Dörfer sind verlassen. Ihre EinwohnerInnen sind in die Städte gezogen, mehr Arbeit und ein besseres Leben erhoffend. Peter ist geblieben, erst eine Woche, dann hat er auf sechs Wochen verlängert und schließlich hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen.

Fulvia lacht. Sie ist die Chefin hier. Ihre zwei Söhne Massimo und Fabrizio helfen im Betrieb, und ihr Mann Alberto kocht; gemeinsam betreiben sie das Agriturismo Ceaglio. Ein ganzes Dorf haben sie in ein Hotel umfunktioniert, inklusive Sauna und Bikeraum. Als Schitouren-Lodge haben sie sich schon einen Namen gemacht, jetzt kommt langsam das Bikethema ins Rollen. Der 78-jährige Peter hilft dabei. Er übersetzt, recherchiert, schreibt Artikel und kümmert sich um die Website. Trails zum Fahren gibt es zur Genüge und Gänge beim Abendessen auch: acht waren unser Rekord! Dazu wählt man am besten einen der hervorragenden Piemonteser Weine.

 

 

Aussichtsreiche Tour um den Monte Tibert

Vor dieser Tour brechen wir früh auf. Unser Plan ist, den Sonnenaufgang auf dem Pass Colle d’Esischie (2370 m) zu erleben und danach um den Monte Tibert (2647 m) zu fahren. Über 2000 Höhenmeter Trailabfahrt wurden uns von Peter angekündigt. Am Pass angekommen treffen wir auf einen Jäger mit Hund, kurz tauschen wir uns aus. Respekt für die schönen Bikes, Respekt für das schöne Gewehr. Ein Erinnerungsfoto für die Frau daheim wird mit dem Handy gemacht, dann klettert langsam die Sonne am Horizont empor und taucht die karge Berglandschaft in Goldorange. Ein paar Wolken verzaubern diese spezielle Stimmung, die es nur ganz früh morgens oder ganz spät abends gibt. Wir machen ein paar Bilder von der traumhaften Aussicht - ganz weit im Süden ist sogar das Mittelmeer zu sehen - und verabschieden uns Richtung Gipfel. Der Rocca Negra liegt auf etwa 2500 m. Ein paar Meter müssen wir die Bikes tragen, dann erreichen wir einen grandiosen Trail, der auf dem Bergrücken verläuft. Diesem folgen wir bergauf und bergab immer entlang der Höhenlinie, bis wir auf der Abzweigung zum Monte Tibert stehen. Wir erleben hier eine unendliche Weite, die man von den Nordalpen nicht gewohnt ist. Flowige Trails in einer solchen Höhe und mit diesem fantastischen Panorama machen hier das Biken wirklich sehr speziell. Von hier hat man auch einen prächtigen Blick zum höchsten Berg der Cottischen Alpen, dem 3841 m hohen Monte Viso. Wir genießen den Moment, die Sonne wärmt unsere Haut. Dann entscheiden wir uns für den Singletrail, der um den Monte Tibert herumführt. Den Gipfel lassen wir aus, denn es liegen noch einige Trailmeter vor uns.

 

Als wir den umlaufenden Trail verlassen, wird es gleich felsig. Bei einer verfallenen Alm mit stilechtem Steindach müssen wir einen kurzen Gegenanstieg auf einer Schotterstraße in Kauf nehmen, bevor wir wieder auf einen Singletrail gelangen. Die Beschilderung ist recht bescheiden. Für die Routenfindung nutzen wir daher Mobiltelefon und GPS-Tracks. Wir sind dank Peter gut vorbereitet. Im Wald wird die Orientierung besser, und die Qualität des Untergrunds wechselt von ruppig steinig auf flowig mit Nadelboden. Ein Traum! Wir schießen bester Laune durch den Lärchenwald und lassen uns nicht zweimal bitten, als wir im Dörfchen Celle di Macra (1270m), das gerade mal 80 EinwohnerInnen zählt, auf ein geöffnetes Café stoßen. Nach so viel Berg und so wenig Zivilisation ist es quasi ein Muss, hier einzukehren und hausgemachten Kuchen und Cappuccino zu genießen.

 

Nach dieser Rast erwartet uns ein superschönes Trailstück auf Waldboden bis ins Tal. Bis wir ganz unten sind, jagt eine Kurve die andere. Vom Fluss geht es bergauf bis nach Stroppo (927 m), wo uns Massimo mit einem Pickup erwartet. Wir klatschen freudig ab und erzählen ihm, während er unsere Bikes auf die Ladefläche legt, von unserer tollen Tour. Massimo ist Schitourengeher, mit dem Biken hat er gerade erst angefangen. Seinen Sportwagen hat er gegen diesen Pickup eingetauscht, damit er müde Bike-Gäste abholen kann.

 

Unser Fazit für diese Route: landschaftlich spannend mit Toppanorama, lange flowige Trail-Passagen auf einem Grat, mehr als 2000 Höhenmeter bergab.

 

 

Strada Napoleonica & Elva-Trails

Die Elva-Trails liegen auf der anderen Talseite von Marmora, unserem Ausgangspunkt. Peter schlägt vor, auch die „Strada Napoleonica“ mitzunehmen, einen flowigen Waldtrail, der kurz oberhalb unserer Unterkunft startet und ideal zum Aufwärmen ist. Nach 300 Höhenmetern auf Asphalt zweigt der Trail an einem kleinen Bauernhof nach links ab. Hier wird die Kuh noch von Hand gemolken. Nach einem Smalltalk mit dem Milchbauern Paulo bietet dieser mir an, ihm beim Melken zu helfen. Ich lehne dankend ab, und wir setzen unsere Fahrt fort.

 

Schon radeln wir wieder durch den Wald und freuen uns über diesen herrlichen Weg. Während des Fahrens frage ich mich, wer diese Wege wohl angelegt hat. Wurden sie nur von den Bauern benutzt? Warum sind die Leute hier so wahnsinnig nett? Sie besitzen nicht viel und sind sehr aufgeschlossen, wenn man sich für ihre Region und ihre Art zu leben interessiert. Bei uns ist das Leben immer so schnell, alles geht wie im Flug vorbei, immer weiter, höher und mehr … Leider absolvieren wir auch diesen Trail viel zu schnell und müssen den Anstieg auf der kleinen Straße nach Elva (1080 m) bewältigen, wo nur mehr an die 90 Personen leben. Die Straße ist zwar nicht sehr steil, aber dafür lang. Spektakulär schlängelt sie sich entlang einer Schlucht hinauf und führt durch einige schmale alte Tunnel. Da es für den Straßenbau in dieser Region Italiens kein Budget gibt, wird die Straße nicht mehr gesichert. Sie ist deshalb für den Autoverkehr gesperrt. Die Locals benützen sie dennoch, da sie die einzige Verbindung zur Außenwelt ist.

 

Knapp 800 Höhenmeter später, knurrt uns der Magen. Wir haben Glück und finden in Elva direkt neben der Kirche Chiesa di Santa Maria Assunta, die weit über die Grenzen hinaus für die mittelalterliche Freskenmalerei von Hans Clemer bekannt ist, ein kleines oktzitanisches Restaurant und können uns stärken. Schließlich sind es von hier noch 300 Höhenmeter bis zum Colle San Giovanni auf 1850 m und somit zum Einstieg in die Abfahrt. Oben angekommen legen wir eine kurze Pause ein und erfreuen uns der Aussicht auf das weite Tal.

 

Der Trail startet sanft und kreuzt immer wieder eine kleine Asphaltstraße, bis wir endgültig im Wald verschwinden. Ständig wechseln sich technisch fordernde, steinige Passagen mit Waldboden ab. Wir radeln durch die kleinen Dörfer Contà und Ciamino, die zur Gemeinde Stroppo gehören. In Stroppo beginnt ein Trail, der mit runden Steinen gepflastert ist und uns zum Talboden bringt. Dann geht es zurück nach Marmora. Der letzte Anstieg zu unserer Unterkunft ist zwar hart, aber ich träume schon vom Abendessen: Wie viele Gänge es heute wohl geben wird? Mein Bike hat 12 …

Die Gardetta-Hochebene mit ihrer Weite und ihren flowigen Trails lässt einem das Herz höherschlagen.
Im dünn besiedelten Valle Maira laden kleine Orte zum Verweilen ein.
Ein okzitanisches Tal

Das ca. 60 km lange Valle Maira ist Teil der Region Piemont und gehört zur Provinz Cuneo. Die Bevölkerung spricht neben italienisch auch okzitanisch. Okzitanisch ist eine galloromanische Sprache, die man u. a. auch im Süden Frankreichs und in Katalonien zu hören bekommt. Das Valle Maira zählt zu den okzitanischen Tälern, die sich nicht nur durch eine eigene Sprache, sondern auch durch eine eigene Architektur, Küche und Musik auszeichnen.

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