Dass das Gesäuse ein besonderes Charisma hat, ist wohl unbestritten. Nicht nur wegen seines einzigartigen Erscheinungsbildes als eine der größten Gebirgsschluchten, sondern auch als Ziel- und Handlungspunkt der „Wiener Schule“ im Alpinismus hat es einen außerordentlichen Stellenwert. Seine markante Geologie, die Vielfalt der Kalkformen, spricht ebenfalls eine eigene Sprache. Die den Gesäusesockel bildenden Dolomite, die östlich der Kummerbrücke noch ganz unter der Talsohle liegen, treten, aufsteigend nach Westen hin zum Ödstein, hoch in den Wandfluchten zutage. Durch ein undeutliches Band sogenannter Raibler Schichten getrennt sitzen Ramsau- und Dachsteindolomit auf. Den oberen Abschluss bildet der prächtig geschichtete, an der Planspitze weit herunterziehende, am Ödstein hoch oben beginnende massige Dachsteinkalk.
Diese Besonderheit und der Zusammenhang mit dem Nationalpark Gesäuse als schulendes und übermittelndes Projekt inspirierten den Bergführer und Geografen Mag. Jürgen Reinmüller (Alpinschule Alpinstil) zu der Idee, im Bereich „Silberreith“ am westlichen Abbruch des Kleinen Ödsteins zum Johnsbachtal einen Geo-Steig zu errichten, und zwar auf der vom Straßentunnel aufsteigenden Felskante. Jürgen Reinmüller erkundigte sich beim Naturfreunde-Alpinreferenten Martin Edlinger, ob die Naturfreunde einen solchen Steig betreuen würden. Im Herbst 2017 wurde diese Anfrage der Naturfreunde-Ortsgruppe Selzthal unterbreitet und mit Ja beantwortet. Auch die Naturfreunde-Ortsgruppe Weng unter Winfried Steiner schloss sich dem Projekt an. Danach gab es die ersten Gespräche mit Jürgen Reinmüller.
2018 nahm das Projekt konkrete Formen an. Jürgen Reinmüller hatte den Steig geplant und einen profunden Kenner in Sachen Klettersteige, Hans Brugger aus Ramsau am Dachstein, für den Bau an Bord geholt. In Absprache mit der Nationalparkverwaltung unter DI Herbert Wölger kam es zur Erstellung eines Wartungsvertrages, der vom Geschäftsführer der Naturfreunde Österreich Mag. Günter Abraham geprüft und für okay befunden wurde.
Mitte Oktober 2018 wurde mit dem Bau des ca. 700 m langen Geo-Steigs „Silberreith“ mit dem Schwierigkeitsgrad B-C begonnen. Der Höhenunterschied beträgt ca. 300 m. Die Nationalparkmitarbeiterin Karo Scheb und ich legten den Abstiegsweg bis zur Einmündung in den Sonnseitenweg. Dafür waren einige Grabe- und Schneidearbeiten im weglosen Gelände notwendig. Im Frühjahr 2019 wird es noch einige kleine Nachrüstungen und eine Sicherheitsbegehung geben. Am 1. Mai wird der Steig freigegeben! Laut Abkommen der Nationalparkverwaltung und des Grundeigentümers, der Steiermärkische Landesforste, darf der Klettersteig jeweils vom 1. Mai bis 31. Oktober begangen werden. Vom 1. November bis 30. April ist der Steig wegen der Wildruhe gesperrt.
Am Geo-Steig „Silberreith“ hat man einen wunderbaren Blick auf die wilde Landschaft des Gesäuses und ihre geologischen Besonderheiten. Am besten begeht man ihn mit einem Guide. Dank der guten Zusammenarbeit mit „Mastermind“ Jürgen Reinmüller und den Naturfreunde-Ortsgruppen werden mehrere speziell geschulte Bergführer zur Verfügung stehen. Kontakt: Alpinschule Alpinstil (www.alpinstil.at), Naturfreunde Selzthal (selzthal.naturfreunde.at), Naturfreunde Weng (weng.naturfreunde.at)
Wir hoffen, dass dieser tolle Klettersteig auch dazu anregt, sich nicht nur sportlich aktiv, sondern auch geologisch interessiert zu bewegen. Er gewährt gute Einblicke in die geologische Struktur des Gesäuses; an vier Stellen sind entsprechende Hinweistafeln angebracht.
Die Anreise erfolgt am besten mit dem Auto oder per Rad. Mit Öffis anzureisen ist wegen des äußerst geringen Angebotes eher umständlich. Parken sollte man beim Gasthof zum Donner (www.donnerwirt.at) in Johnsbach, da der Platz beim Tunnel sehr beschränkt ist. Vom nördlichen Tunnelportal erreicht man nach einigen Metern talauswärts den Zustieg, auf dem man in ca. 5 min zum Einstiegskamin gelangt (siehe Topo). Viel Spaß bei einem schönen Alpintag in einer grandiosen Landschaft!
Text: Diedi Wassertheurer, Bergsteiger-Referent der Naturfreunde Selzthal