Text: Marlies Czerny, Journalistin und erste Österreicherin, die alle 82 Viertausender der Alpen bestiegen hat, Fotos: Andreas Lattner
Schon mal mit einem Malta-Urlaub geliebäugelt? Wer jetzt Bilder von Sandstränden und Felsküsten vor türkisblauem Meer im Kopf hat, sich in Valletta durch enge Gassen zum nächsten Fischrestaurant schlendern sieht, war vermutlich noch nicht in Kärnten. Nur wenige denken wahrscheinlich zuallererst an Malta, das Bergsteigerdorf. An seine tosenden Wasserfälle, an die dreitausend Meter hohen Berggipfel im Nationalpark Hohe Tauern, an die feinen Risse im warmen Granit und an die Kasnudeln, die von Hand gekrendelt als Belohnung in gemütlichen Gaststuben warten. Malta, die zweitgrößte Gemeinde Kärntens, ist mit gut 260 km² sogar eine Spur größer als die Mittelmeerinsel. Warum also in ein Flugzeug steigen? Zu entdecken gibt’s auch rund um das Bergsteigerdorf viel!
Im Westen, an der Grenze zu Mallnitz, reicht das Gemeindegebiet von Malta bis auf 3360 Meter Seehöhe: Die Hochalmspitze bildet den höchsten Punkt der Ankogelgruppe. Wer der „Tauernkönigin“ bereits einmal einen Besuch abstattete, wird ihrem Charme vermutlich erlegen sein. Ihr Hoheitsgebiet besteht aus zwei Gipfeln, vier großen Graten und ebenso vielen Gletschern dazwischen. Und sie ist eine weitgehend unberührte Schönheit. Zu verdanken ist das auch den Einheimischen, die den Riegel vorgeschoben haben, bevor die Schitourismusindustrie ins Reich der Hochalmspitze vordringen konnte. In den Siebzigerjahren kamen Pläne für ein Gletscherschigebiet am Hochalmkees auf. Der Alpenverein kaufte jedoch 1988 mithilfe eines Großspenders einen Teil des Berges. Wären die Pläne damals verwirklicht worden, sähe es dort heute ganz anders aus.
Dass im Maltatal schön urlauben ist, hat sich auch unter Kletterinnen und Kletterern längst herumgesprochen. An einem verlängerten Wochenende im Mai verbrachten daher mein Lebens- und Seilpartner und ich dort einen spontanen Kurzurlaub. Erste Station: der beliebte Klettergarten Kreuzwand. Als wir ankamen, war kaum noch ein Parkplatz frei. Schon beim Öffnen der Türe wurde man von den „Allez!“-Anfeuerungsrufen mitgerissen. Keine fünf Minuten später klebte auch uns Neuankömmlingen Chalk an den Fingern. Es herrschte ein friedliches und fröhliches Nebeneinander. Kaum jemanden schien es zu stören, dass man sich für manche Routen anstellen musste. Erstens sind sie es allemal wert – und zweitens wurden Wartephasen mit frischem Espresso aus einer Bialetti überbrückt und zelebriert.
Bald war es mir und meinem Partner aber nach einsameren Felsen zumute. Nach ihnen wollten wir im Hochgebirge suchen. Doch wie viel Schnee würde um diese Zeit noch liegen? Zu viel? Sollten wir mit oder ohne Schi losziehen? Die Verhältnisse ließen sich weder erfragen noch „ergoogeln“. Die Antwort mussten wir wohl selbst finden: am Südpfeiler der Hochalmspitze.
Schon auf der Anfahrt durch den Gößgraben wurde es immer einsamer und zauberhafter. Durch das ursprünglich gebliebene Tal führt eine holprige schmale Bergstraße – doch, oh Schreck, der Schranken war zu! Normalerweise kommt man einige Kilometer weiter bis zum Parkplatz unter dem kleinen Gößkarspeicher. Während in Malta der Frühsommer blühte, spürte man im Talschluss noch den Winter. Ein noch längerer Zustieg? Doppelt so weit? Wir blickten uns ernüchtert an – und nickten ein paar Sekunden später grinsend. So fangen doch die besten Geschichten an.
Blättern wir zum nächsten Tag: Kreuz und quer lagen Bäume über die Straße, Lawinenkegel bedeckten Abschnitte. Die Gießener Hütte (2215 m) war noch im Winterschlaf. Auch die Tauernkönigin hatte keine Krone auf, sondern eine dicke graue Decke übergezogen. Unser Bett in unserem Bus hatten wir vor mehr als vier Stunden verlassen – eigentlich wollten wir um diese Zeit losgeklettert sein. Der Zustieg aber war mühsamer als erwartet. Und jetzt mussten wir in diesem endlosen Nebelgrau den Südpfeiler überhaupt erst einmal finden.
Eine lange Querung später dämmerte es uns endlich: rechts die Gößrinne, links der Pfeiler! Selbst wenn der Firn bereits aufgeweicht war, ging es auch ohne Schier gut voran. Mulmig war allerdings unser Gefühl, als wir vom Schnee auf den Felsen stiegen. Die Gedanken schweiften zu einer Freundin, der an dieser Stelle ein Jahr zuvor ein schwerer Unfall passiert war. Ein Block war ausgebrochen und hatte ihr ein Bein schwer verletzt. Hubschrauber. Notoperation. Gar nicht gut.
Von der winterlichen Optik und dem gedanklichen Rückblick ließen wir uns fast abschrecken. Wir tasteten uns aber dann doch vorsichtig voran. Die Kletterei hat schließlich den Ruf, ein Traum zu sein. Und die Tour war in ihrer Länge überschaubar – acht Seillängen, die schwierigste im fünften Grad, das trauten wir uns auch bei erschwerten Bedingungen zu. In die Kletterschuhe brauchten wir aber gar nicht erst zu schlüpfen. Es war wie bei einem guten Kaiserschmarren alles leicht angezuckert. Die Füße und Finger hätten sich allerdings über mehr Frostschutz gefreut.
Wie genussvoll musste das erst im Hochsommer sein?! Der Südpfeiler bot Kletterei in seiner ursprünglichsten Form, immer kompakter wurde der Gneis. Nur ab und zu fanden wir Normalhaken, die Standplätze waren selbst zu bauen, was mit Keilen und Friends sehr gut möglich war.
Als in der vorletzten Seillänge die Wolken aufrissen, trauten wir unseren Augen kaum. Das Land lag der Tauernkönigin zu Füßen. Was für ein Geschenk, hier mit Sonnenschein empfangen zu werden! Wir fühlten uns wie auf einer Insel der Seligen und waren an diesem Fenstertag nicht die einzigen Glücklichen hier. Viele SchitourengeherInnen kamen von der Kölnbreinsperre herauf. Über den Rudolstädter Weg, unseren geplanten Rückweg, war noch niemand aufgestiegen. Die Landschaft war wunderbar unberührt, wirkte wie in einem weißen Hochzeitskleid. Zu unserem Glück lief auch der Fußabstieg wie am Schnürchen. 13 Stunden nach unserem Aufbruch kehrten wir zu unserem Bus zurück und genehmigten uns einen Radler. Die Tauernkönigin lebe hoch!
Weil zu einem richtigen Urlaub ein Sprung ins kühle Nass gehört, steuerten wir am nächsten Tag den Millstätter See an. Im Klettergarten Jungfernsprung sichert man seinen Kletterpartner in kurzer Hose direkt von großen Flößen aus. See und Fels, welch entspannende Kombination: Wem die Route zu heiß wird, seilt sich ganz einfach ins Wasser ab. Wer sehnt sich da noch ans Mittelmeer?
Wer ins Hoheitsgebiet der Hochalmspitze vordringen möchte, hat viele Möglichkeiten. Eine der schönsten (und bei Weitem nicht schwierigsten) Anstiege ist vom Maltatal die Überschreitung vom Detmolder Grat zum Rudolstädter Weg. Die Gießener Hütte ist der optimale Stützpunkt. Für LiebhaberInnen langer Grate ist auch der Winterleitengrat eine schöne Option. Steiler wird’s am Südpfeiler. Hier packen Freunde des alpinen Kletterns an; neben der klassischen Route (5) ist auch der „Traumfänger“ (6a) eine tolle Variante. Von der Kölnbreinsperre gelangen konditionsstarke BergsteigerInnen über die Osnabrücker Hütte (2022 m) zum Gipfel.
Die verborgene Kammer im Palast der Tauernkönigin ist die Westseite. Hier stürzen bis zu 400 Meter hohe Mauern auf das zerklüftete Winkelkees hinab. Alpine Abenteuerkletterinnen und -kletterer finden hier eine einsame und riesengroße Schatzkammer mit Neuland. „Die Wände auf der Nordwestseite der Hochalmspitze sind die mitunter interessantesten zum Klettern im Maltatal bzw. zum Alpinklettern in den Hohen Tauern. Und dennoch gibt es wohl keinen alpinen Fleck in Kärnten, wo so wenig geklettert wird“, sagt der lokale Kletterpionier Gerhard Schaar.
Der Kletterführer „Maltatal: Sportklettern - Alpinklettern - Bouldern“ von Gerhard Schaar (326 Seiten, 3., überarbeitete Auflage 2020, Panico Alpinverlag, 35,80 €) bietet einen perfekten Überblick. Auch die Gebiete Jungfernsprung und Breitwand am Millstätter See werden beschrieben. Viele Kletterinfos findet man auch auf der Internetseite maltatal.rocks.