Text und Fotos: Ulf Edlinger
Was wurde nicht alles an Werbung gemacht für diese paar Quadratmeter: „Westalpen des kleinen Mannes“ hat man sie genannt, den Glödis „Matterhorn Osttirols“ und über die Schitour auf den Schober schrieb Steve House (und der muss es wissen) in seinem Osttirol-Schitourenbüchlein sogar „für mich eine der besten Abfahrten in den Alpen“.
Und was hat’s gebracht? Gott sei Dank gar nichts. Das wird wohl auch daran liegen, dass der vielbeschworene Schitourenboom der letzten Jahrzehnte an Gebieten, die weder für das dort zu erntende Sozialprestige noch für ihre große Auswahl an deppensicheren Funsport-Touren bekannt sind, spurlos vorübergegangen ist. Wenn überhaupt und nicht zu Unrecht eilt der Schobergruppe der Ruf einer gewissen Widerspenstigkeit (die Westalpen, wir erinnern uns!) voraus.
Täler zu lang, Gipfel zu schroff
Während sich am Glockner regelmäßig biblische Dramen abspielen (in den Hauptrollen: Glocknerscharte und Leitl; Zweikanalton: Tschechisch/Ungarisch), kann man oft ein paar Kilometer weiter südlich, in der zentralen Schobergruppe, stundenlang und mutterseelenallein seine Spuren in unberührtem Schnee ziehen. Selbst zur besten Schitourenzeit bis Anfang Mai. Selbst auf den klingenden Namen dieser Gegend. Und es besteht kein Anlass zur Sorge, dass sich das durch die Publikation dieses Artikels ändern wird. Dazu sind die Ausgangspunkte zu weit draußen, die Täler zu lang, die meisten Gipfel zu schroff, die Hütten zu geschlossen und die Winterräume zu kalt.
Die Weltabgewandtheit der Schobergruppe sorgt unter anderem dafür, dass man in ihren Flanken noch uralte, fast vergessene Kulturtechniken zur Anwendung bringen kann. Das UMDREHEN zum Beispiel (wenn der Hut brennt) oder noch öfter das EINSPUREN. Letzteres gerne auch durchgehend, vom Auto bis zum Gipfel. Dafür ist neben entsprechend entwickelter Beinmuskulatur sehr oft auch ein Körperteil hilfreich, der in einer Zeit, in der selbst ernsthafte Schitouren durch die enorme Begehungsfrequenz zu Wellness-Loipen degradiert werden, gerne ein bisschen verkümmert: das Hirnkastl.
So richtig unbeschwert habe ich mich zwischen Zinggetskamp und Zettersfeld noch nie gefühlt. Dabei sind Kalser Standard-Schitouren wie die Böses-Weibl-Überschreitung und der Hochschober eher lang als schwer und eher vertrackt als wirklich gefährlich. Nachdem viele Gipfel nur mit etwas Kletterei zu erreichen sind, stellen auch nordseitige Steilrinnen wie zum Beispiel jene vom Kalser Törl eigenständige Tourenziele dar. Sogar eine schöne Schidurchquerung ist möglich – dafür bietet sich das Lucknerhaus als höchstgelegener Startpunkt an, genächtigt wird in den Winterräumen der Elberfelder und der Lienzer Hütte, bevor es am letzten Tag über den Schober nach Kals zurückgeht.
Nur für Hartgesottene
Die Kärntner Seite rund ums Petzeck, den höchsten Gipfel der Schobergruppe, setzt in puncto Abgeschiedenheit noch eins drauf. Ins Gößnitz-, Graden- und Wangenitztal verirren sich im Winter nur wirklich Hartgesottene. Für GenießerInnen bieten sich das gut erschlossene Zettersfeld und die vorgelagerten, von Lienz oder vom Iselsberg leicht erreichbaren Gipfel an, wobei auch Gipfel wie die Schleinitz keine gmahde Wiesn sind. Von Süden wird die Schobergruppe auch durch das unendlich lange Debanttal erschlossen. Wenn man im Frühjahr zumindest bis zum Parkplatz Seichenbrunn fahren kann, ein idealer Ausgangspunkt für Touren wie auf den Glödis.
Bleibt noch die westseitige Leibnitze mit dem Zugang zur Hochschoberhütte, die wilde Gestalten wie die Prijakte und die Alkuser Rotspitze ermöglicht. Alles in allem auch eher etwas für Individualisten mit einem leichten Hang zum Steilhang. Einen Vorteil haben jedenfalls alle Schobertouren gemeinsam: Man kann das Gletschergraffl meistens zu Hause lassen.
Böses Weibl, das (subst.) - das Wesen, in das sich eine reizende Schitourenpartnerin verwandelt, wenn es statt des versprochenen „Powders“ nur Bruchharschhänge gibt; aber auch der Name eines der meistbegangenen Schidreitausender der Schobergruppe.
Ausgangspunkt der Schitour ist das Lucknerhaus an der Kalser Glocknerstraße. Ein paar lawinentechnisch heikle Hänge sind bis zum Peischlachtörl dabei, ab dieser Grenze zwischen Glockner- und Schobergruppe geht’s durch eine hohle Gasse und dann über schönes Gelände bis zum Tschadinsattel. Gipfelanstieg zu Fuß.
Der Clou: Wenn man ein zweites Auto am Ausgang des Kalser Lesachtales abgestellt hat, kann man das Weibl bequem von Nord nach Süd überschreiten. Von der Einfahrt am Tschadinsattel bis zum Ende des schönen südseitigen Schigeländes bei den Lesachalmhütten gibt es über tausend Höhenmeter Firn- bzw. Pulvertraum (oder: siehe oben unter Bruchharsch).
Protipp: Bei der Abfahrt sich möglichst weit links an den Flanken des Roten Knopfs (Gruppenzweithöchster) halten, damit man die Felszone auf ca. 2400 m Seehöhe umfahren kann (siehe Grafik). Von der Lesachalm je nach Schneelage über die Forststraße nach Rubisoi oder durch den Graben (evtl. Dschungelkampfdiplom hilfreich) ganz hinunter nach Unterlesach.
Schitouren-Standardausrüstung ausreichend
Aufstieg vom Lucknerhaus: 1200 Hm, Abfahrt: 1800 Hm, Gesamtzeit ab Lucknerhaus: 5 Stunden
SCHWIERIGKEIT: OOO
Der tonangebende Gipfel der Gruppe; prinzipiell von Norden und Süden aus machbar. Die schönere und viel besungene Abfahrt führt jedenfalls direkt vom Gipfel nordseitig über das Schoberkees ins Ralftal. Der Gipfelhang selbst bietet bei idealen Verhältnissen meist bis in den Mai 700 Höhenmeter Pulvergenuss, die weiter unten relativ ansatzlos in schöne Firn-Schmiererei übergehen.
Tourenverlauf: Von Oberlesach entweder entlang der Forststraße oder dem Sommerweg am Bach folgend zu den Lesachalmhütten; nach Überquerung des Bacherls über eine kurze Grauerlenstufe ins Ralftal, dann immer logisch dem Gipfel zu. Die endlosen Hänge zur Schoberscharte haben zwischen 30 und 35 Grad Hangneigung. Sichere Verhältnisse sollten hier Voraussetzung sein. Ab der Schoberscharte quert man am besten in die Südostflanke und legt hier die letzten Meter bis zum Schidepot kurz vor dem Gipfelkreuz zurück. Die Abfahrt erfolgt je nach Verhältnissen direkt vom Schidepot durch die über 40 Grad steile Gipfelflanke (Gletscher!) oder entspannter über den Aufstiegsweg. Ab den Lesachalmhütten weiter wie beim Bösen Weibl beschrieben.
Aufstieg von Oberlesach: 1800 Hm, Gesamtzeit ab Oberlesach: 6 Stunden
Alternativroute: Rundtour ausgehend von der im Winter nicht bewirtschafteten Lienzer Hütte. Je nachdem, wie weit die endlose Straße im Debanttal schon befahrbar ist, wird’s halt ein ziemlicher Pracker: Von der Hütte Aufstieg ins Gartl, von dort steil, teilweise zu Fuß rauf in die Schoberscharte, die man ein paar Meter östlich des Wegs durch den Nordhang erreicht. Abfahrt vom Gipfel nach Norden bis man auf ca. 2550 m wieder anfellen und unschwierig aufs Schobertörl ansteigen kann. Von dort über schöne Firnhänge nach Süden zurück zur Hütte.
Aufstieg von Debant: 1800 Hm, Gesamtzeit ab Lienzer Hütte: 6-7 Stunden
SCHWIERIGKEIT: OOOO (beim Anstieg zur Scharte)
Dem formschönsten Gipfel der Schobergruppe wurde ein Klettersteig verpasst, dadurch kann er auch im Rahmen einer Frühjahrsschitour relativ einfach erstiegen werden.
Von der Lienzer Hütte (Debanttal) taleinwärts und immer Richtung Kalser Törl halten. Am besten erst bei der Verflachung vor dem Törl an geeigneter Stelle die lange Querung zum Schidepot am Südostgrat beginnen. Wenn man’s richtig erwischt, bleibt man immer in gemäßigt steilem Schigelände. Vom Beginn der Versicherungen in ca. 1 Stunde zum Gipfel. Bei Vereisung oder falls die Versicherungen noch unter Schnee sind, erhöhen sich der Gesamtanspruch und Zeitaufwand der Tour gleich ordentlich. Dafür wird man mit einem der luftigsten Gipfel Österreichs und einer schönen Firnabfahrt zurück zur Hütte entschädigt.
Schitouren-Standardausrüstung, eventuell Klettersteigset
Aufstieg von der Lienzer Hütte: 1100 Hm, Abfahrt: 1100 Hm, Gesamtzeit ab Lienzer Hütte: 6 Stunden
SCHWIERIGKEIT: OOO/Klettersteig B
OOO = Mittelschwere Tour, längere steile Hänge mit einer Steigung von mehr als 35 Grad; Engpässe können nicht umgangen werden, im mittelsteilen Gelände sind Spitzkehren notwendig.
OOOO = Schwere Tour mit längeren steilen und ausgesetzten Passagen, Steigungen von bis zu 40 Grad, ausgereifte Technik ist notwendig.