Text und Fotos: Herbert Raffalt, staatlich geprüfte Berg- und Schiführer, Fotograf und Buchautor
Die landschaftliche Vielfalt der Steiermark ist unvergleichlich. Der Bogen spannt sich vom schroffen Hochgebirge im oberen Ennstal bis hin zu den sonnenverwöhnten Weinbergen im Süden des Landes. Wer sich auf einen Fußmarsch von Nord nach Süd begibt, erlebt ein Bundesland voller spannender Gegensätze. Ein Land, das mit einer außergewöhnlichen Berg- und Naturlandschaft gesegnet sowie mit kulturellen und kulinarischen Schätzen reich beschenkt ist.
Eine Idee wird Wirklichkeit
Um die Steiermark hautnah kennenzulernen, sollte man sie Schritt für Schritt erwandern. Wie hat es Goethe so schön auf den Punkt gebracht: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“ Die Idee, einen Wanderweg quer durch das grüne Herz Österreichs zu verwirklichen, gab es schon länger. Doch die Umsetzung dauerte einige Jahre. Der Weg sollte die gesamte Vielfalt des Landes mit einbinden. Ein fast aussichtsloses Unterfangen. Schließlich sind es zwei Routen geworden.
Zwei Routen – eine Vision
Die Nordroute führt in 35 Etappen vom Dachstein zum Nationalpark Gesäuse und über den Hochschwab ins Thermenland nach Bad Radkersburg. Auf der Südroute geht es in 25 Etappen über die Schladminger Tauern zum Naturpark Zirbitzkogel-Grebenzen und durch das Schilcherland nach Leibnitz. Die offizielle Eröffnung der beiden Routen erfolgte im Mai 2016 am Dachstein. Sowohl die Nord- als auch Südroute haben hier ihren Ausgangspunkt. Sie führen von der Bergstation der Dachsteinseilbahn über den Schladminger Gletscher zum Guttenberghaus. Hier trennen sich die Wege in Richtung Weinland.
Wandern als Lebensgefühl
Weitwanderwege sind in erster Linie eine Kopfsache. Mehrere Tage unterwegs zu sein verändert den Blickwinkel auf das Leben. Der Tagesablauf besteht aus Gehen, Essen und Schlafen. Dazwischen ist viel Zeit, um Dinge neu zu ordnen. Die Eindrücke einer langen Wanderung sind überwältigend. Wer die gesamte Route in einem Stück bewältigt, wird mit der Aufarbeitung eine ganze Weile brauchen. Die meisten Wanderinnen und Wanderer werden sich nur Teilstücke der Tour herauspicken und die Strecke in kleinere Abschnitte aufteilen. Welche der beiden Routen die schönere ist, kann man nicht sagen. Zu unterschiedlich sind die landschaftlichen Eindrücke und Anforderungen.
Die Nordroute ist mit 524 km deutlich länger und auch anspruchsvoller als die 370 km lange Südroute über die Schladminger Tauern. Beiden gemeinsam ist der spektakuläre Start am Dachstein-Gletscher. Hier im Norden des Landes prägen steile Felsmauern mit einsamen Gipfeln und geheimnisvollen Karsthochflächen das raue Landschaftsbild. Am Fuß des Hohen Dachsteins befinden sich die östlichsten Gletscher Österreichs. Doch das scheinbar ewige Eis zieht sich zurück. Dort, wo sich noch vor wenigen Jahrzenten gewaltige Eismassen in Richtung Tal gewälzt haben, kommt jetzt eine faszinierende Steinwüste zutage. Über Jahrmillionen hat das Wasser die Oberflächen bearbeitet und geformt. Dabei sind skurrile, wie von Menschenhand geformte Rillen, Kare und Steinmäander entstanden. Zwischen den von der Sonne gebleichten Steinen wachsen zarte Blumen. Sie sind wahre Überlebenskünstler inmitten einer dem Wind und Wetter ausgesetzten Umgebung. Vom Dachstein-Massiv geht es entlang der Nordroute zur Alm- und Seenlandschaft der Tauplitz. Auch hier dominiert trockenes Kalkgestein das Landschaftsbild. Der südliche Teil des Toten Gebirges wird auf der Wanderung nur gestreift. Durch die rauschende Wörschachklamm geht es hinunter zu den Feuchtwiesen des Ennstals und weiter zum Nationalpark Gesäuse. Die steilen Felsmauern sind die „Wiege“ des alpinen Kletterns in Österreich. Das sogenannte Xeis ist mit seinen anspruchsvollen Routen vor allem bei Kletterfreunden begehrt.
Über den Hochschwab ins Apfelland
Von den abweisenden Nordwänden geht’s weiter zum Erzberg und ins Hochschwab-Massiv. Das weitläufige Hochplateau ist ein verkarstetes Gebirge mit hochalpinem Charakter. Wunderschön liegt das Schiestlhaus etwa 600 Meter nordöstlich des Hochschwab-Gipfels. Die Schutzhütte ist das erste hochalpine Passivhaus Österreichs. Vom Gamsgebirg, wie der Hochschwab ebenfalls genannt wird, wandert man weiter ins Mürzer Oberland. Hier dreht der Weg in Richtung Süden hinunter zu den Fischbacher Alpen und ins Almen- und Apfelland der Oststeiermark. Die letzten Etappen führen schließlich durch das Thermen- und Vulkanland bis zur Parktherme Bad Radkersburg, wo man sich im Wasser der heißen Quellen erholen kann. Hier endet die Nordroute nach insgesamt 35 Tagesetappen.
Auch die Südroute startet am Fuß der mächtigen Dachstein-Südwände. Eine Kulisse, die Bergwander- und Kletterbegeisterte gleichermaßen in ihren Bann zieht. Ab dem Guttenberghaus geht es steil in Richtung Süden in die Ramsau und weiter nach Schladming. Von der steirischen Schimetropole wandert man ins Herz der Schladminger Tauern. Der Hochwurzen-Höhenweg führt in die Welt der Urgesteinsberge. Die Schladminger Tauern bilden einen reizvollen Kontrast zu den bleichen Felswänden des Dachsteins. Die dunklen, oft mystisch wirkenden Tauernberge werden aufgrund ihres Wasserreichtums und der üppigen Vegetation gerne als Grasberge bezeichnet. Nähert man sich den Niederen Tauern vom Ennstal her, vermitteln die sanften Rücken zunächst den Eindruck einer gemütlichen und eher unspektakulären Berglandschaft. Sobald man jedoch weiter vordringt, entdeckt man den wahren Charakter dieser Landschaft. Nach und nach rücken gewaltige Bergriesen und Gipfelpersönlichkeiten ins Blickfeld. Einige, etwa die Hochwildstelle, das Waldhorn oder auch der Hochgolling mit seiner wuchtigen Nordwand, sind bekannte und gern besuchte Tagesziele. Sobald man den Hauptkamm der Schladminger überschritten hat, wird es ruhiger und auch einsamer.
Kultur, Klöster und Kulinarik im Süden
Von der Steirischen Krakau geht es nun nicht mehr so alpin über das Hochtal der Krakau bis nach St. Peter am Kammersberg. Von hier führt die Route über die Stolzalpe in die Bierstadt Murau und weiter zum Naturpark Zirbitzkogel-Grebenzen. Ein Höhepunkt auf der Reise nach Süden ist das Benediktinerstiftsgebäude in St. Lambrecht. Ebenso beeindruckend ist die Aussicht vom Zirbitzkogel. Vom Dach der Steiermark geht es hinunter zum Obdacher Sattel und von dort weiter zur Pack- und Koralpe. Der langgezogene Höhenrücken trennt die Bundesländer Steiermark und Kärnten. Mit großen Schritten führt der Weg ins Schilcher Land. Von Deutschlandsberg wandert man vorbei an Weingütern und Buschenschänken ins Herz des südsteirischen Weinlandes nach Leutschach.
Jetzt begleitet einen die typisch hügelige Landschaft über die Weinstraße an der steirisch-slowenischen Grenze. Auf der letzten Etappe der Südroute gelangt man von Ehrenhausen, der Weinhauptstadt der Südsteiermark, nach Leibnitz im Naturpark Südsteiermark, dem Endpunkt der Südroute.
Silvia Sarcletti & Elisabeth Zienitzer
Vom Gletscher zum Wein
Weitwandern in der Steiermark: Nord- und Südroute
Paperback, 256 Seiten, Bergverlag Rother, ISBN 978-3-7633-4550-2, 16 €
Der Wanderführer „Vom Gletscher zum Wein“ von Silvia Sarcletti und Elisabeth Zienitzer ist ein wertvoller Tourenbegleiter. Die beiden Wanderprofis stellen in diesem Band die Nord- und Südroute mit allen wichtigen Infos vor. Jede der 60 Etappe wird zuverlässig beschrieben. Zudem stehen GPS-Tracks zum Download bereit.